Den Strahlen auf der Spur

Von am Dez 13, 2018 in Allgemeines |

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Tests mit Dosimetern haben ergeben: In der Innenstadt ist die Belastung durch Mobilfunkmasten viel höher als die empfohlenen Grenzwerte.

Von Simone Herz

Frank Sommer zieht die Augenbrauen hoch. So eine hohe Belastung hätte er hier nicht erwartet. Der Anwalt und Gräfelfinger Gemeinderat war einen Tag lang mit einem Messgerät für Mobilfunkstrahlung in München unterwegs. Und am Stachus haben ihn 60 000 Mikrowatt Hochfrequenzstrahlung pro Quadratmeter getroffen. Das 60-fache des vom Umweltinstitut München empfohlenen Grenzwertes. Die Strahlen kann man weder sehen noch hören oder spüren – doch dass sie trotzdem da sind, zeigt Sommers Messgerät. Und nicht nur am Stachus. Neben Sommer waren auch Münchens Tourismuschefin Gabriele Weishäupl, Kabarettist Karsten Kaie, Umweltreferent Joachim Lorenz, Carolyn Dobs vom Tollwood-Festival und SZ-Redakteur Franz Kotteder auf Mobilfunk-Streife. Mit einem sogenannten Dosimeter – einem handygroßen Strahlenmessgerät – am Oberarm waren sie im Auftrag des Umweltinstituts und des Tollwood-Teams in der vergangenen Woche einen Tag lang in der Stadt unterwegs. Am Freitagabend präsentierte der Vorstand des Umweltinstituts, Hans Ulrich-Raithel, nun die Auswertung der Messungen auf der Veranstaltung „Mein strahlendes München!?“ auf dem Tollwood-Festival. Das Ergebnis der Stichproben: Münchens Innenstadt strahlt am stärksten. Neben Sommers Stachus-Rekord hat auch Weishäupls Dosimeter kritische Werte gemessen. Während des Stadtgründungfestes wurden zwischen Theatinerstraße und Odeonsplatz 10.000 Mikrowatt pro Quadratmeter angezeigt. Zehnmal mehr als Ulrich-Raithel empfiehlt. „Kein Wunder“, sagt der Experte, „im gesamten Innenstadtbereich bis zur Theresienwiese ist das Mobilfunknetz maximal ausgebaut.“ Obwohl: Carolyn Dobs hat im Zentrum immerhin eine Oase der Strahlenfreiheit ausmachen können: das Hofbräuhaus. Gerade mal 30 Mikrowatt pro Quadratmeter bekam Dobs bei ihrem Besuch dort ab. Als sie aus der Tür des Gasthauses trat, wurde sie allerdings wieder von 5000 Mikrowatt getroffen. Weitere Spitzenwerte haben die Dosimeter der Probanden in Internet-Cafés, in der Sendlinger Straße und auf dem Marienplatz ausgemacht.

„Die Hauptursache sind die Mobilfunkmasten“, sagt Ulrich-Raithel. Rund 1000 davon gibt es in München.
Doch so hoch die Werte auch sind, die Konsequenzen der Strahlung sind noch umstritten. „Unser Strahlungs-Grenzwert von 1000 Mikrowatt pro Quadratmeter für den Außenbereich beruht auf der Salzburger Resolution aus dem Jahr 2000“, erklärt Ulrich-Raithel. Er ist ein Minimalkonsens zwischen internationalen Wissenschaftlern. „Man konnte damals bei einer Belastung ab dieser Grenze Veränderungen am menschlichen Körper beobachten“, sagt Ulrich-Raithel. Aber er schränkt ein: Ob die Veränderungen auch wirklich schädlich sind, sei wissenschaftlich noch nicht bewiesen. Unter dieser unsicheren Faktenlage leidet die gesamte Diskussion über Mobilfunk. Dabei seien die Wissenschaftler, die Klarheit bringen sollten, in einem Netz von Vorschriften und Abhängigkeiten gefangen, kritisiert Hans-Peter Neitzke. Der Leiter des Ecolog-Instituts für sozialökologische Forschung in Hannover verweist auf einige dunkle Flecken in den Studien der Wissenschaft. Er bezieht sich auf eigene Recherchen und die Daten einer Untersuchung aus der Schweiz: „Viele Forschungsergebnisse hängen leider davon ab, wer die Forschung bezahlt.“ Die Mobilfunk-Lobby sei groß und nach Neitzkes Meinung auch mächtig genug, um sicherzustellen, dass nur ein Drittel der Studien, die von ihr finanziert werden, zu einem für sie unangenehmen Ergebnis kommen.“Studien, die von gemeinnützigen oder öffentlichen Institutionen gefördert werden, kommen zu mehr als 80 Prozent zu dem Ergebnis, dass Mobilfunk negative Effekte auf die Gesundheit hat.“ Für Maria Finster und Eva Weber bräuchte es zu dem Thema gar keine Studien. Die beiden Frauen zählen sich zur Gruppe der Elektrosensiblen. „Ich und die anderen Betroffenen leiden sehr unter der permanenten Strahlung“, sagt Finster. Sie wohnt in der Fasanerie, Weber in Untermenzing. „Die Schmerzen kann man sich nicht vorstellen“, sagt Weber. Wie tausend Stiche spüre sie die Hochfrequenz am ganzen Körper. Die Frauen sind nicht überrascht von den jüngsten Mess-Ergebnissen in München. „Über den Marienplatz“, sagt Finster, „kann ich schon lange nicht mehr gehen.“

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