Das passiert wirklich im Gesundheitswesen!
Die einschlägigen Paragraphen zum Systemausstieg SGB V § 72a und 95b kann jeder von Ihnen selbst im Internet unter folgendem Link nachlesen:
http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/index.html
auch das Bundessozialgerichtsurteil zum Zulassungsverzicht der Kieferorthopäden vom 27.6.2007 ist im Internet nachzulesen:
http://www.freieaerzteschaft.de/content/articles/1021/1240/1241/index.html?catid=1241&artid=62878&topid=1240&nosum=1&
sID=ec4c4bd1a3947cc30d49eee603f6944b
Bezüglich der Auslegungsfähigkeit von Gesetzen hat uns die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkas-senverbände am Schluss ihres Rundfaxes an alle Hausärzte vom 25.1.08 ein Beispiel geliefert:
„Was die sechsjährige Zulassungssperre betrifft, gilt diese gemäß § 95 b Abs. 2 SGB V nur in den Fäl-len, bei denen die Vertragsärzte abgestimmt auf ihre Zulassung verzichten und es deshalb zu einer Feststellung der Aufsichtsbehörde nach § 72 a Abs. 1 SGB V (Übergang der Sicherstellung auf die Krankenkassen) kommt. Das bedeutet aber nicht, dass – sofern es trotz abgestimmtem Ausstieg nicht zum Übergang der Sicherstellung auf die Krankenkassen kommt – diese Ärzte aufgrund ihres voran-gegangenen Verhaltens kurzfristig wieder zugelassen werden. Diese Entscheidung wird zu gegebener Zeit von einem unabhängigen Zulassungsausschuss, der nicht an Weisungen gebunden ist, einzelfall-bezogen getroffen.“ (auf der KVB-Homepage nachzulesen)
Ebenso könnte man bezüglich § 72a (3) (=keine Verträge mit ausgestiegenen Ärzten) argumentieren: Wenn in § 73b + c als Vertragspartner neben 1. den Leistungserbringern (=Ärzten) explizit auch unter 2. „Gemeinschaften dieser Leistungserbringer“ genannt sind, in § 72a (3) jedoch nur von den Ärzten selber die Rede ist, dann dürften Verträge mit „Gemeinschaften“ derselben, also z.B. dem BHV, kein juristisches Problem darstellen.
Wie sagte kürzlich unsere Bundesgesundheitsministerin in einem Interview, das ich auf B5-aktuell hörte: … Gesetze sind dazu da, dass man sie auslegt! …
Ansonsten wurden Sie zu den Risiken und Chancen eines Systemausstiegs von allen Seiten so massiv informiert, dass ich hier nichts wiederholen möchte.
Zu dem sicher genauso risikoreichen Weg in der KV zu verbleiben, kenne ich bisher keine umfassende und sachliche Darstellung. Auch diese Risiken müssen bei der Entscheidungsfindung mit berücksichtigt werden. Ein „Weiter-so-wie-bisher“ wird es nicht geben. In Zukunft sieht auch hier alles radikal anders aus:
1. Als Hausarzt fällt es mir schwer seit Einführung des EBM 2008 bei den meisten Patienten nach der Versichertenpauschale in den zahlreichen weiteren Sprechstundenkontakten nichts mehr an weiteren Leistungen einzugeben. So kommen richtige Glücksgefühle auf, bei einer Ergometrie, einem Ultraschall oder einer Spirometrie nochmals eine weitere Ziffer eintragen zu können. Aber auch diese Freude wird Mitte des Jahres ein Ende haben, denn auch diese Leistungen werden in einem kleinen Zuschlag zur Versichertenpauschale verschwinden, wie bisher schon die Psychosomatik! Haben sie sich schon mal ausgerechnet wie wenig Psychosomatikleistung in dem Zuschlag von 20 Punkten stecken! Mit Sonogra-phie etc wird es nicht anders gehen! Letztlich werden wir zukünftig fast ausschließlich pauschal nach An-zahl und Alter der Patienten bezahlt, die wir betreuen. In einer kleinen Praxis wenige Patienten intensiver zu betreuen wird in Zukunft damit unmöglich gemacht!
2. Das Raffinierte ist aber: auch in einer größeren Praxis werden sie ab 2009 genauso begrenzt! Nach § 87b SGB V muss die Vergütung ab 2009 nach Patientenzahlen abgestaffelt werden (Punkte gibt es ja dann nicht mehr): angeblich sollen nach ersten Plänen nur noch etwa 800 Patienten pro Hausarzt voll bezahlt werden, darüber hinaus wird radikal abgestaffelt! Das ist eine klassische Zwickmühle: pro Patient mehr Leistung geht nicht mehr! Mehr Patienten geht aber auch nicht mehr! Die Konsequenz: die Politik legt einen genauen Zielkorridor fest, in dem der Verdienst eines Hausarztes zu liegen hat: den muss man nur knapp genug wählen, dann kann man uns konsequent aushungern!
3. Und die Vergütung wir entscheidend heruntergefahren:
– den Hausarztvertrag der Barmer hat das Bundessozialgericht in den letzen Tagen quasi beendet.
– der Hausarztvertrag mit der AOK Bayern wird sicher sofort beendet, wenn ab 2009 keine DMP’s mehr für den Risikostrukturausgleich benötigt werden. Zur Erinnerung: Er wurde 2005 erst auf entspre-chenden Druck durch einen mehrmonatigen DMP-Boykott der Hausärzte abgeschlossen!
– die Strukturverträge hat die AOK Bayern ja bereits Mitte Januar gekündigt: es ist davon auszugehen, dass Notdienstpauschalen und Hausbesuche nicht mehr wie bisher außerhalb des Budgets und zu einem festen Punktwert von gut 5 Cent vergütet werden. Die hausärztliche Grundvergütung ist ja mit Einrechnung in die Versichertenpauschale des EBM 2008 schon heimlich abgestuft worden (vorher fester Punktwert 5,11 Cent) Da das Praxisbudget ja ohnehin schon voll ist, können sie gedanklich schon mal alle Hausbesuche, Notfallpauschalen, OP-Vorbereitungen von ihrer bisherigen Vergütung abziehen. Nicht nur dass sie als Leistungen wegen Überschreitung des Punktzahlgrenzvolumens wohl mengenmä-ßig nicht mehr abrechenbar sind, – sie hatten bisher durch den festen Punktwert von gut 5 Cent den an-sonsten miserablen Punktwert von zuletzt unter 3,5 Cent etwas ausgeglichen! Das fällt jetzt ebenso weg!
4. Übrigens haben sie sich eigentlich schon mal ihre neuen Punktzahlgrenzvolumen (=“Praxisbudget“) zum neuen EBM 2008 ausgerechnet: für unsere Praxis ergeben sich maximal 1205 Punkte pro Pat. unter 60 Jahre: Die Versichertenpauschale plus Morbiditätszuschlag betragen für diese Patienten zusammen aber bereits 1395 P.!!!! Wehe dem, der auch öfters mal chron. Kranke behandelt! (Falls sie das Anschreiben der KV dazu im Dezember 07 nicht beachtet haben – sie finden es auf der KVB-Homepage unter: Praxisinformationen – Abrechnung – Honorarverteilungsvertrag – HVVAnpas-sung zum 1.1.08 – Schreiben an alle Vertragsärzte und Psychoth.)
5. Und falls sie sich in den vergangenen Jahren gefreut haben, dass zwischen ihrer Laborerstattung durch die KV und der Laborrechnung ihres Großlabors noch ein paar Euro Differenz blieben: Ab Okto-ber 2008 soll mit der nächsten Laborreform auch damit endgültig Schluss sein.
6. Bereits jetzt schon ist vom 1.Quartal 2005 bis zum letzten abgerechneten Quartal (3/2007) der Punktwert von 5,03 Cent auf 3,41 Cent um ein Drittel (!) gesunken. Ein weiteres Absinken ist durch die Punktsummensteigerung des EBM 2008 schon vorprogrammiert auf unter 3 Cent. Ab 2009 soll es einen bundeseinheitlichen Punktwert geben (SGB V § 87 (2e) und §87c (1)). Der durchschnittliche Punktwert der Fachärzte in Bayern lag zuletzt um 2,5 Cent mit dem EBM 2008 wohl um 2 Cent zu erwar-ten. Preisfrage: wie hoch liegt wohl dann der bundeseinheitliche fachübergreifende Punktwert??? Wir werden den Krankenkassenvertretern wohl um den Hals fallen müssen, wenn wir wenigstens die Hälfte des eigentlich wirtschaftlich-kalkulierten Punktwertes von 5,11 Cent bekommen werden.
Wer wirklich noch glaubt, mit dem Euro-EBM 2009 gäbe es mehr Geld, vergesse nicht, dass die Beitrags-satzstabilität gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 71 SGB V), dass die Bezugsgröße für 2009 die Ausgaben des Jahres 2008 sind (SGB V § 87c (1), dass die Kassenvertreter immer beteuert haben, unter den Bedin-gungen des Gesundheitsfonds gebe es keinesfalls mehr Geld für die Ärzte und dass auch die meisten Politiker gesagt haben, die Gesundheitsreform würde kostenneutral umgesetzt!
Nun kann jeder seine letzte Abrechnung durchgehen und schauen was dann wohl übrig bleibt, wenn er alle genannten Punkte herausgerechnet hat. Ein ca. 20%-iger Umsatzrückgang bedeutet bei einem gleich bleibenden Unkostenanteil einer Praxis von 50% einen Einkommensrückgang um 40%!
Soweit zur Einkommenssituation der Ärzte und dem Begriff „Aushungern im KV-System“. Doch in wel-che Richtung geht unser Gesundheitssystem als Ganzes? Dazu ein Blick in das Sachverständi-gengutachten für das Gesundheitswesen 2007. Auch dieses können Sie im Internet als pdf-Datei herun-terladen und durchlesen:
http://www.svr-gesundheit.de/Startseite/Startseite.htm (links „Gutachten“ anklicken und dann Vollversion herunterladen). Da sollten Sie auf jeden Fall mal reinschauen. Ich darf hier kurz zitieren:
S.263: Punkt 359. Das Gesundheitswesen bildet keinen wettbewerbspolitischen und –rechtlichen Ausnahmebereich. Das ist im Zusammenhang mit den Diskussionen um das GKV-WSG überzeugend dargestellt worden (Bundeskartellamt 2006; Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi 2007). Wettbewerb besteht in der Wahrnehmung individueller Handlungsspielräume der Marktteilnehmer; seine Förde-rung ist angezeigt, um effiziente und flexible Strukturen weiter zu entwickeln. Das gemeinsame und einheitliche Handeln der Krankenkassen sollte sich auf ein unbedingt notwendiges Maß beschränken. Deswegen regen beide Institutionen eine ersatzlose Streichung des § 69 SGB V an. … Gesetzliche Krankenkassen stellen zumindest auf ihrem Beschaffungsmarkt, d. h. gegenüber den Leistungserbrin-gern, Unternehmen im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen dar (Bundeskartell-amt 2006). … Ökonomisch betrachtet handeln Krankenkassen, wenn sie in Konkurrenz auf den Märkten von Leistungserbringern, Güter und Dienste nachfragen, wie Unternehmen.
Das heißt Wettbewerb im Gesundheitswesen bis in die KV’en hinein! Bei diesen Sachverständigen han-delt es sich nicht um ein paar neoliberale Träumer, sondern die ausgewiesenen Experten, die, im Sozial-gesetzbuch verankert (SGB V § 142), berufen sind, um die weitere Entwicklung des Gesundheitswesens zu empfehlen. Bemerkenswerterweise heißt ja auch die Gesundheitsreform 2007: GKV-Wettbewerbs- stärkungsgesetz!!!
Liebe Kollegen wachen Sie auf! Der Wettbewerb im Gesundheitswesen ist erklärtes Ziel, da werden wir wohl kaum noch etwas ändern können. In Baden-Württemberg steigt die AOK aus dem KV-System aus, im Kreis Kassel steigen die Ersatzkassen aus dem KV-System aus und die Politik klatscht in die Hände: endlich mehr Wettbewerb! – In Bayern dagegen wollen die Hausärzte aus dem KV-System aussteigen und wir werden kriminalisiert! (siehe Notaraktion der Staatsregierung!) – sollte uns das nicht zu denken geben!!!! Die Konkurrenz steht bereits vor der Tür: zwei Informationen zum amerikanischen Konzern Healthways AG , den die DAK bereits ins deutsche Gesundheitssystem mit hereingeholt hat, finden Sie im Internet: http://www.presse.dak.de/ps.nsf/sbl/41637AB4448FCAFBC12573830030506F?open (rechts auf pdf-download drücken) und http://www.presseportal.de/meldung/1058604/
Die Relation von einer Hausarztpraxis zu solchen Gesundheitskonzernen mit über 600 Mio $ Umsatz kommt mir vor, wie die von einem Tante-Emma-Laden zum Discounter Aldi oder Plus: wer wird wen verdrängen? Nur als freie Ärzte mit einer schlagkräftigen „Gewerkschaft“ werden wir in diesem Wettbe-werb überhaupt eine Chance haben.
Das Paradoxon der aktuellen Situation: die Kollegen in den großen Städten, die am meisten zögern auszusteigen, da sie die räumlich nahe Konkurrenz von Nicht-Aussteigern fürchten, gerade die werden die ersten sein, die von den vor allem in den Zentren entstehenden MVZ’s geschluckt werden. Diejenigen die sagen, das finanzielle Risiko eines Ausstiegs kann ich nicht schultern – sie werden leider die ersten sein, die unter dem zu erwartenden Honorarrückgang insolvent werden. Was passiert eigentlich mit de-nen, die nicht dabei sind, wenn es in ihrem Regierungsbezirk zur kollektiven Rückgabe kommt? Wer später alleine noch aussteigen will, gibt einfach seine Zulassung ab und geht in Ruhestand! Der kollektive Ausstieg mit seinen „besonderen Rechten“ ist ja dann vorbei! „ …wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“
Haben Sie sich eigentlich schon mal gefragt wieso im EBM 2008 sämtliche Gesprächsleistungen sang und klanglos verschwunden sind? Wieso ist gerade die Psychosomatik als erste Leistung in einem qualifi-kationsgebundenen Zusatzbudget verschwunden? Wieso spricht man eigentlich immer nur noch von „Leistungserbringern“ und nicht mehr von Ärztinnen und Ärzten? Es ist ein entscheidender Paradig-menwechsel eingetreten! Bei dem Begriff Arzt assoziiert man eine Person, ein Gegenüber, einen Ge-sprächspartner und Begriffe wie ärztliche Kunst, Fürsorge, Begleitung, Zuwendung. In Zukunft ist jedoch eine Leistung, eine billig einzukaufende Ware gewünscht – und dies möglicht unabhängig von der Person des „Leistungserbringers“, von jedem zu erbringen, austauschbar – eben marktgerecht billig einzukaufen! Dann kann man marktwirtschaftlich damit umgehen, heute hier und morgen dort einkaufen, wo es eben gerade billiger ist, so wie manche Fabrik eben heute in Deutschland und morgen in Rumänien steht.
Das Gesundheitswesen soll als Markt erschlossen werden! Da ist das Bild des Hausarztes, der den Patien-ten langfristig begleitet und dabei wirtschaftlich unabhängig handelt, einfach im Weg.
Ich glaube, dass wir hier als Ärztinnen und Ärzte weit über unsere eigene wirtschaftliche Existenz hinaus gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen haben: Nein zu sagen zu einer Entwicklung, wo Wettbewerb in einen Bereich einbricht, in dem es um die Fürsorge für die geht, die in unserer Leistungs-gesellschaft eben gerade keine Leistung bringen können, weil sie krank oder in seelischer Notlage sind. Der Hausarzt ist für viele Menschen die einzige verbliebene Anlaufstelle in unserer Gesellschaft, wo sie Begleitung, umfassende Betreuung und nicht zuletzt menschliche Nähe erfahren können. Soll das auch noch einer gewinnorientierten Industrie als Markt geopfert werden?
Wir sollten als Ärztinnen und Ärzte zeigen, dass unser Horizont weiter geht als bis zu unserem Geldbeutel, dass wir bereit sind, uns nicht nur für die Gesundheit unserer Patienten einzusetzen sondern auch für die gesunde Entwicklung unseres Gesundheitssystems, und dass wir dazu bereit sind, uns dafür auch mit der Politik und den Krankenkassen anzulegen! Bei einem Durchschnittsalter der Hausärzte von 58 Jahren werden die vielen Älteren sicher denken: die paar Jährchen werde ich auch noch in der KV über-leben. Können Sie einer kommenden Ärztegeneration, ihren Kindern, sich selbst noch in die Augen schauen, wenn Sie nicht versucht haben, die Abschaffung ihres Berufsbildes zu verhindern? Wir sind eines der wenigen Bundesländer, die sich Freistaat nennen; sollte es in diesem Bundesland nicht auch freie Hausärzte geben? Ich ziehe bis heute meinen Hut vor all denen, die 1989 in Leipzig auf die Straße gegangen sind und Kopf und Kragen riskiert haben. Niemand hat damals gedacht, dass dadurch die gan-ze DDR ins Wanken kommt. Wenn auch der Vergleich zwischen 1989 und unserer aktuellen Situation vermessen ist – ich möchte nur sagen: Mut und Solidarität sind auch jetzt gefragt: haben wir genügend von beidem? Dann ist alles möglich!
So möchte ich mit einem Wort des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard schließen:
Wer nichts riskiert, setzt seine Seele aufs Spiel!
Liegt Ihre Praxis in einem „überversorgten“ Gebiet, in der Regel gleichbedeutend mit Praxen in größeren Städten? Dann sollten Sie schnellstens den § 87 und 87 a des SGB V studieren, denn es geht um die Existenz Ihrer Praxis!
in §87 Absatz 2e heißt es da bezüglich der Gebührenordnung ab 2009:
… (2e) Im einheitlichen Bewertungsmaßstab für die ärztlichen Leistungen sind jährlich bis zum 31. August jeweils bundeseinheitliche Punktwerte als Orientierungswerte in Euro zur Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen
1. im Regelfall,
2. bei Feststellung von Unterversorgung oder drohender Unterversorgung gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 sowie 3. bei Feststellung von Überversorgung gemäß § 103 Abs. 1 Satz 1 festzulegen. Der Orientierungswert gemäß Satz 1 Nr. 2 soll den Orientierungswert gemäß Satz 1 Nr. 1 so überschreiten und der Orientierungswert gemäß Satz 1 Nr. 3 soll den Orientierungswert gemäß Satz 1 Nr. 1 so unterschreiten, dass sie eine steuernde Wirkung auf das ärztliche Niederlassungsverhalten entfalten; …
Was bedeutet dies? In überversorgten Gebieten wird es ab 2009 nicht nur die deutlichen Verschlechterungen für alle geben, die ich schon in meinem Brief vom 22.2.08 genannt habe (siehe Anhang), sondern es wird zusätzlich noch einen besonderen Abschlag auf den normalen Punktwert geben, „der einen steuernden Einfluss auf das Niederlassungsverhalten“ entfalten soll! Da sich in überversorgten Gebieten sowieso niemand neu niederlassen kann, kann dies nur zwei Dinge bedeuten: Die Einkommenssituation in diesen Praxen soll so katastrophal schlecht werden, dass diese Praxen absolut unverkäuflich werden, beziehungsweise schon vorher Pleite gehen!
In §87 Absatz 2g heißt es weiter bezüglich der jährlich anzupassenden Orientierungswerte:
(2g) Bei der Anpassung der Orientierungswerte nach Absatz 2e sind insbesondere …
4. aufgetretene Defizite bei der Steuerungswirkung der Orientierungswerte gemäß Absatz 2e Satz 1 Nr. 2 und 3 zu berücksichtigen.
Hier wird deutlich, wieso im Gesetz für diesen Abschlag auf den normalen Punktwert bei Überversorgung kein fester Prozentsatz festgelegt wurde: er wird nämlich von Jahr zu Jahr nach Wirkung dosiert: wenn im ersten Jahr nicht genügend Praxen kaputt gegangen sind wird die Daumenschraube im nächsten Jahr einfach deutlich stärker angezogen! Und das soll ganz zügig innerhalb weniger Jahre gehen, denn weiter besagt das Gesetz:
In §87 Absatz 7:
(7) Der Bewertungsausschuss berichtet dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. März 2012 über die Steuerungswirkung der auf der Grundlage der Orientierungswerte nach Absatz 2e Satz 1 Nr. 2 und 3 vereinbarten Punktwerte nach § 87a Abs. 2 Satz 1 auf das ärztliche Niederlassungsverhalten. …
Auf der Grundlage der Berichterstattung nach Satz 1 berichtet das Bundesministerium für Gesundheit dem Deutschen Bundestag bis zum 30. Juni 2012, ob auch für den Bereich der ärztlichen Versorgung auf die Steuerung des Niederlassungsverhaltens durch Zulassungsbeschränkungen verzichtet werden kann.
Das überrascht zunächst! Nachdem von 2009 bis 2011 die sozialistischen Beschränkungen für die Arztpraxen immer härter gefahren werden (siehe oben), soll nun ab dem Jahr 2012 die Möglichkeit bestehen, jegliche Niederlassungsbeschränkung aufzuheben!!! Es zeigt sich hier ein raffinierter Plan: In einer Massenexekution sollen über 2-3 Jahre hinweg die Praxen speziell in den deutschen Großstädten vernichtet werden, um dann ab 2013 das Feld frei zu haben, um „im freien Wettbewerb“ ohne Zulassungsbeschränkungen dann die ambulante Versorgung gezielt mit MVZ der Gesundheitsindustrie neu renditeorientiert aufzubauen. Das ist die Endlösung, wie sie sich Politik und Wirtschaft einvernehmlich vorstellen.
Was dann mit hoher Wahrscheinlichkeit kommt, haben die Rechtsanwälte Broglie, Schade und Partner in dem im Anhang beigefügten Text „Ende der Bedarfsplanung“ sehr interessant ausgeführt. Es ist deutschlandweit wohl eine der renomiertesten Rechtsanwaltskanzleien für Arztrecht. Interessant ist, dass dieser Text bereits Ende 2006 (!) also lange vor dem Plan der bayerischen Hausärzte aus dem KV-System auszusteigen, ins Internet gestellt worden ist! Da zu diesem Zeitpunkt das GKV-Wirtschaftlichkeitsgesetz noch nicht endgültig verabschiedet war, muss das Datum 30.06.2011 durch das Datum 30.06.2012 ersetzt werden, wie es dann im endgültigen Gesetzestext festgelegt wurde. Ein wichtiger Hinweis: lesen Sie diesen Text bitte nicht abends! Sie könnten danach vielleicht nicht mehr ruhig schlafen!
Sie finden den Text im Internet auch selbst unter: http://www.arztrecht.de/Newsletter.html (4. Newsletter von oben: Ende der Bedarfsplanung zum 1.7.2011 (01.11.2006)).
Liebe Kollegen es ist Feuer unterm Dach! Kann ihre Praxis überleben wenn beispielsweise die meisten Kollegen einen Punktwert von 3 Cent bekommen, die Kollegen in unterversorgten Gebieten im bayerischen Wald 4,5 Cent und Sie in einem überversorgten Gebiet nur 1,5 Cent? Lesen Sie sich den Paragraphen in aller Ruhe selber durch! ( http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/index.html ) Es geht um Ihre Zukunft!
Diese Regelung gilt deutschlandweit für alle Ärzte in überversorgten Gebieten. Aber nur die hausärztlich tätigen Kollegen in Bayern haben noch eine Chance, dem zu entgehen: durch den kollektiven Systemausstieg! Gerade die Kollegen in den größeren Städten tun sich damit schwer – wie nach diesem Text wohl erkennbar, werden Sie aber die ersten sein, die auf diesen alternativen Weg angewiesen wären! Selbst in der CSU werden schon die ersten Stimmen laut, die nur in einem Ausstieg der Ärzte in Bayern als „Bayerischem Modell“ eine Zukunft für den unabhängigen, selbstständigen Arzt sehen (siehe Anhang: Henschel und Matschl). Dies hat Friedrich Merz von der CDU ja schon im Februar 2008 gesagt (siehe Anhang: Friedrich Merz).
Der Ausstieg der bayerischen Hausärzte scheint nach Lektüre dieser Texte wirklich die letzte Chance zu sein, die komplette Umkrempelung der bisherigen Versorgung noch irgendwie abwenden zu können! Legen Sie Ihre Verzichtserklärung in den Korb – es ist die beste Investition in Ihre Zukunft, die Sie momentan tun können.
Hat die Kassenärztliche Vereinigung Bayern als unsere „Interessenvertretung“ Sie jemals über diese existenzbedrohende Zukunft aufgeklärt?
Zum Schluss möchte ich noch Bertolt Brecht zitieren (vor allem für die Augsburger, die diesen früheren Bürger ihrer Stadt besonders ehren!)
Aber am Abend, als sie gegangen waren, Saß der Buddha noch unter dem Brotbaum und sagte den andern, Denen, die nicht gefragt hatten, folgendes Gleichnis:
«Neulich sah ich ein Haus. Es brannte. Am Dache Leckte die Flamme. Ich ging hinzu und bemerkte, Daß noch Menschen drin waren. Ich trat in die Tür und rief Ihnen zu, daß Feuer im Dach sei, sie also auffordernd, Schnell hinauszugehen. Aber die Leute Schienen nicht eilig. Einer fragte mich, Während ihm schon die Hitze die Braue versengte, Wie es draußen denn sei, ob es auch nicht regne, Ob nicht doch Wind ginge, ob da ein anderes Haus sei, Und so noch einiges. Ohne zu antworten, Ging ich wieder hinaus. Diese, dachte ich, Müssen verbrennen, bevor sie zu fragen aufhören. Wirklich, Freunde, Wem der Boden noch nicht so heiß ist, daß er ihn lieber Mit jedem andern vertausche, als daß er da bliebe, dem Habe ich nichts zu sagen.»
So Gothama, der Buddha.
Aber auch wir, nicht mehr beschäftigt mit der Kunst des Duldens, Eher beschäftigt mit der Kunst des Nichtduldens und vielerlei Vorschläge Irdischer Art vorbringend und die Menschen beschwörend, Ihre menschlichen Peiniger abzuschütteln, meinen, daß wir denen, die Angesichts der heraufkommenden Bombenflugzeuggeschwader des Kapitals noch allzu lang fragen, Wie wir uns dies dächten, wie wir uns das vorstellten Und was aus ihren Sparbüchsen und Sonntagshosen werden soll nach einer Umwälzung, Nicht viel zu sagen haben.
[In: Bertolt Brecht: Hundert Gedichte 1918-1950, Berlin 1962, S.116 f.]